"Halbzeit"

geschrieben am 11. März 2020

 

März.

 

Dafür muss ich aufs Datum schauen, damit ich das glauben kann. Neujahr fühlt sich an, als ob es vor wenigen Wochen gewesen ist, als ich aus Kapstadt zurückgekommen bin. Und trotzdem liegt es schon so weit zurück.

Der März bedeutet für mich in diesem Jahr mehrere Dinge. Einmal liegt Südafrika dann endlich wieder in der gleichen Zeitzone wie Deutschland, selbst wenn es sich im Moment jeweils immer nur um eine Stunde unterschieden hatte. Anderseits beginnt in Deutschland offiziell der Frühling, den ich dieses Jahr verpassen werde, dabei gehört er zu meiner Lieblingsjahreszeit.

Das grün, die sich verändernde Natur. Auch wenn es hier noch warm ist, merkt man, wie die Tage kürzer werden, wie die Sonne früher untergeht und wie das Wetter in PE zwischen sonnig und grau schwankt. Südafrika steuert auf den Herbst zu und ich möchte das warme T-Shirt Wetter ungern eintauschen.

Die wohl größte Bedeutung vom März ist, dass ich diesen Monat Halbzeit habe. Sechs Monate sind rum, sechs kommen noch. Einerseits eine unendlich lange Zeit, bedenkt man, was alles in so einem Zeitraum passieren kann, anderseits ein kurze, bemessene Zeit, die wie die vorherige Hälfte einfach so schnell rumgeht. Aber daran möchte ich jetzt noch nicht denken.

Ich möchte im hier und jetzt leben und mir meine zweite Hälfte mindestens genauso schön machen, wie die vorherige.

Rundhüttendorm in der Bulungula Lodge
Rundhüttendorm in der Bulungula Lodge

Passend zur Halbzeit war vom 23.-29. Februar das Zwischenseminar an der Wild Coast, wo wir wie beim Vorbereitungsseminar zusammen gekommen sind und über bestimmte Themen gesprochen haben. Der einzige Unterschied war, dass wir nicht eine Woche trocken Seminarthemen abgehakt haben, sondern wir etwas aktiver unterwegs waren, da wir zwei Tage davon wandern waren.

 

Nach einer Anfahrt von fast 11 Stunden mit mehr als 20 Personen im Kleinbus (Crafter), war ich mehr als froh endlich in der Bulungula Lodge angekommen zu sein. Die letzten drei Stunden Fahrt auf der Schotterstraße hatte dann sogar Scharade spielen unmöglich gemacht, da man ständig hoch gehüpft ist und das Spiel gedacht hatte, man hätte das Wort richtig erraten. Zum Schluss kamen dann auch noch Dunkelheit und Regen dazu.

Es war schön alle wieder zu sehen, da ich die meisten im Januar das letzte Mal gesehen habe.

Am nächsten Morgen konnten wir Bulungula das erste Mal bei Tageslicht sehen. Wir waren in traditionellen einfachen Rundhütten untergebracht und aus der Tür meines Dorms konnte man die Lagune und das Meer sehen.

Bulungula Lodge ist ein Backpacker, der sehr auf nachhaltigen Tourismus setzt. 50% des Backpackers gehört dem Eigentümer und die anderen 50% gehören der Dorf Community, wodurch die Einheimischen nicht ausgebeutet werden, sondern genauso mit in Entscheidungen eingebunden und gleichberechtigt sind. Zudem gibt es nur Plumsklos, Energie wird durch die Sonne gewonnen und Wasser kommt aus dem eigenen Wasserloch.

Sunrise Breakfast
Sunrise Breakfast

Da das Meer nur ein paar Minuten zu Fuß weg war, gingen wir vor dem Frühstück  baden. Dann startete das volle Seminarprogramm: Teamspiele und Energizer :)

In der Mittagspause gingen wir wieder baden und danach fing dann das eigentliche Seminar an.

Mithilfe des „Status Wheels“ präsentieren wir den anderen unsere Arbeitsstelle, persönliches und was bisher passiert ist reflektiert dar. Ich fand es sehr interessant, was die anderen so berichtet haben, da man so gute Einblicke in die Arbeitsstellen der anderen bekommen hat und sich ein Bild von ihrem Leben in Südafrika machen konnte.

Am nächsten Tag startete dann der erste Teil unserer Wanderung, vorher gab es aber noch ein Sunrise Breakfast. Dafür liefen wir noch etwas müde am Strand entlang, immer der Köchin hinterher, bis wir den perfekten Spot gefunden hatten. Dann wurden am Strand  für uns frische Pancakes mit Nutella und Zimt und Zucker gemacht und bei einer Tasse Kaffee konnten wir die Sonne langsam über dem Meer aufgehen sehen.

Ganz nach South African Time liefen wir dann um elf mit unseren drei Guides los. Mit unsere Rucksäcke auf dem Rücken ging es zuerst eine Weile am Strand an Kühen vorbei, bis es dann Hügel hoch, Hügel runter hieß. Und damit meine ich keine kleinen Hügel, sondern solche, bei denen man oben angekommen erstmal nach luftschnappend steht und die Aussicht genießt.

Ausblick bei unser Wild Coast Wanderung
Ausblick bei unser Wild Coast Wanderung

Nach vielen Pausen, wenig Wasser (und damit meine ich nicht das Meer) erreichten wir einen Fluss, der normalerweise nicht sehr tief wäre. Dadurch aber, dass wir recht lange gebraucht hatten, ist der Fluss durch die Flut mehr als Hüfthoch angestiegen, wodurch wir mit unseren schweren Rucksäcken auf dem Kopf durch den Fluss gehen mussten und einfach darauf hofften, dass der Rucksack nicht ungeplant schwimmen geht. Als auch das geschafft war, erreichten wir mit müden Beinen endlich das erste Dorf, wo für diese Nacht unsere Unterkunft war. Wir wurden sehr freundlich von unseren Gastgebern begrüßt, wobei unsere Guides als Übersetzer einsprangen, da dort keiner Englisch sprechen konnte. Anfangs liefen überall noch Tiere frei herum, aber als wir dann abends am Lagerfeuer saßen, Abendessen aßen und Mais im Feuer grillten, waren sie in den Ställen. Über dem Dorf konnte man die Sterne, die Milchstraße und sogar mehrere Sternschnuppen so gut sehen, wie inoch nie in meinem Leben.

Der ganze Himmel war von Sternen bedeckt und leuchtete. Spontan schliefen wir dann mit ein paar anderen auf einem Matratzenlager auf der Wiese vor den Häusern, mit Blick auf den Himmel.

Ich glaube das war mein Highlight an der Wild Coast.

Hole in the Wall
Hole in the Wall

Morgens wurden wir dann von der Sonne und dem extrem nervigen Hahn geweckt. Nach dem Frühstück ging es dann mit dem zweiten Teil unserer Wanderung los. Anders als zum Vortag wurde für unser Gepäck ein Transport organisiert, was uns mehrere Kilos abnahm. Anderseits teilten wir uns zu dritt einen Rucksack, wo Trinken und Essen drin war und dadurch auch schwerer war, aber wenigstens hatte man Pausen vom Tragen. Die Strecke war verglichen mit der Hälfte vorher viel hügeliger, was teilweise extrem frustrierend war, da man ständig Höhenmeter verloren hat. Wir wanderten bis zum Hole in the Wall, wo wir Mittagspause machten und baden gingen. Danach sind wir weiter gelaufen, irgendwann hat sich unserer Gruppe ein Hund angeschlossen, der uns die ganze Zeit begleitet hat. Wir kamen am frühen Abend müde, aber glücklich es geschafft zu haben, im zweiten Dorf an. Wir alle sehnten uns nach einer Dusche, aber die war 20 Minuten zu Fuß entfernt, one way. Da wir dafür alle zu müde waren, mussten ganz klassisch Wassereimer und Schüsseln reichen, besser als gar nichts.

Am nächsten Morgen ging es die letzten 20 Minuten zu Fuß zu unserem endgültigen Ziel: Coffee Shak, unser Backpacker für die nächsten und letzten zwei Nächte. Dort wartete meine lang ersehnte Dusche und ich hatte dort das erste Mal seit 6 Tagen Netz /WLAN, was irgendwie schade war.

Die kleine Detox Zeit hatte sehr gut getan und ich hätte es nicht schlimm gefunden, auch noch die nächsten Seminartage nicht erreichbar gewesen zu sein. In den nächsten zwei Tagen war die Seminarzeit gefüllt von Reflexion und zukünftigen Plänen. Einem selber klar werden lassen, was man sich für die nächsten sechs Monate vornimmt, was die Ziele sind und wie man sie gestalten möchte. Dann waren die 7 Tage Zwischenseminar auf einmal rum, viel zu schnell und man musste Tschüss sagen.

Im Hintergrund die Drakensberge
Im Hintergrund die Drakensberge

Ein komisches Gefühl in den kleinen Bus zu steigen und zu wissen, manche erst wieder in Deutschland wieder zu sehen. Ich bin sehr dankbar für das Zwischenseminar, das was unsere Mentoren geschaffen haben und was wir geleistet haben. Aus dem Seminar nehme ich viele schöne Erinnerungen und gute Gespräche mit. Auch den Hund, der uns bis zum Backpacker gefolgt war und auch dort blieb, mussten wir zurück lassen, dabei hätten wir ihn sehr gerne mit nach PE genommen, was aber nicht möglich war.

Für uns vier, damit meine ich Johanna, Paula und Lena, war die Reise noch nicht vorbei. Es hieß Tschüß Wild Coast und Hallo Drakensberge. Wir wurden in Mthatha rausgelassen und nach kleinen Problemen bei der Autovermietung, wodurch wir fast das Auto nicht bekommen hätten, fuhren wir los. Die eigentlichen sieben Stunden Fahrt verlängerte sich um einiges, da als es dunkel wurde, auch Nebel dazu kam und wir dadurch nicht so gut vorankamen. Teilweise konnte man gerade noch so den Streifen sehen, der die beiden Fahrbahnen voneinander trennte. Außerdem kamen die Schlaglöcher hinzu, die in Südafrika nicht zu unterschätzen sind. Als wir dann spät abends endlich ankamen, fielen wir gefühlt wie Tod ins Bett.

Tugela Fall
Tugela Fall

Die nächsten Tage waren gefüllt voller neuer Eindrücke. Egal wo man hin sah, alles war grün, die Berge, die Felder, die Bäume. Wir fuhren zu den Main Caves, wo wir eine kleine Wanderung machten und eine Führung über Wandmalereien der San / Bushman hatten. Wir machten den Amphitheatre Hike, wofür wir morgens sehr früh mit unserem Guide und den anderen Teilnehmern los fuhren.

Von den insgesamt 14 Teilnehmern waren 12 Deutsche dabei, was aber sehr lustig war und zu guten Gesprächen führte.

Am Anfang hatten wir noch darüber nachgedacht, die Wanderung alleine zu machen, aber da wir gehört hatten, dass das letzte Straßenstück sehr schwer zu fahren sei und auch die Wanderung recht schwer sein sollte, entschieden wir uns schließlich das Risiko nicht einzugehen. Eine gute Entscheidung, denn unser kleines Auto hätte die Straße wahrscheinlich nicht geschafft. Auf der Rückbank unseres Shuttles hüpften wir rum und mussten uns gut festhalten.

Die Wanderung war anstrengend, aber machbar. Das Gefühl am Schluss oben angekommen zu sein und sein Sandwich auf über 3000 Metern Höhe zu essen war einfach unglaublich. Außerdem sahen wir den Tugela Fall, den höchsten Wasserfall Afrikas und den zweithöchsten der Welt. Leider war die Sicht die meiste Zeit nicht sehr gut, da die Wolken uns die Sicht versperrten. Trotzdem klarte es hin und wieder immer mal auf, wodurch man ins Tal schauen konnte und die Wanderung nicht umsonst gewesen ist.

Wasserfall Rainbow Gorge
Wasserfall Rainbow Gorge

An einem anderen Tag fuhren wir zum Cathedral Peak, um den Rainbow Gorge Hike zu machen. Zuerst wanderten wir am Berg durch eine Wiese, dann durch den Wald, der auch in Deutschland sein könnte. Der Trail endete an einem Wasserfall, bei dem man eigentlich einen Regenbogen hätte sehen können, wir hatten aber glaube ich etwas Unglück mit dem Wetter. Trotzdem lohnte sich die Wanderung, da der Wasserfall auch ganz ohne Regenbogen wunderschön war.

 

Am nächsten Tag packten wir unser Zeug ins Auto und fuhren zur Sani Lodge, einem Backpacker nahe der Grenze zu Lesotho. Auf dem Weg dahin machten wir noch einen Halt um Zip Line zu fahren. 12 Zip Lines, wovon die höchste 65 Meter hoch war, eigentlich die perfekte Kombination aus Spaß und Adrenalin. Spontan wollten wir noch ins Apartheid Museum, welches erst Anfang dieses Jahres eröffnet, also brandneu war. Das Museum war an dem Ort, wo Nelson Mandela am 5. August 1962 gefangen wurde und die nächsten 27 Jahre im Gefängnis verbracht hat. Kurz nachdem wir reingegangen waren und uns schon auf die Ausstellung gefreut haben, hat auf einmal  Loadshedding angefangen. Kein Strom hieß für uns keine Ausstellung, typisch Südafrika. Wir schauten uns dann also nur die abstrakte Statue aus Stäben von Nelson Mandela an, die nur aus einem bestimmten Winkel Sinn ergab und seinen Kopf zeigte.

Sani Lodge
Sani Lodge

Am Nachmittag kamen wir in der Sani Lodge an und sprangen erst einmal in den Pool, mit Blick auf die Berge. In den zwei Tagen, die wir in der Sani Lodge waren, fuhren wir den Sani Pass,  bis 8 Kilometer vor der Grenze von Lesotho und ließen es etwas ruhiger angehen. Ließen am Pool die Seele baumeln, da wir nach so viel Programm der letzten Tage eine Auszeit vom ganzen Trubel brauchten. Und dann war unser Urlaub fast vorbei, wir ließen die Berge langsam hinter uns, fuhren für eine Nacht an die Wild Coast, da der Weg sonst viel zu weit gewesen wäre. Einerseits war ich traurig, dass der Urlaub vorbei war, da ich ihn mit sehr schönen Erinnerungen verbinde und ich eine tolle Zeit hatte, die gerne auch noch länger hätte dauern können, aber anderseits freute ich mich auch auf PE, auf mein südafrikanisches Zuhause und auf die Kinder in der Schule.

Das erste Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl woanders als in meinem deutschen Zuhause, nach Hause zu kommen. Nach dem Garden Route Trip über Weihnachten / Neujahr, habe ich mich auch auf PE gefreut, aber da ich erst drei Monate dort gewohnt habe, war es ein anderes Gefühl. Jetzt nach sechs Monaten fühlt es sich wirklich nach einem Zuhause an. Einerseits verängstigt mich das ein wenig, anderseits macht es mich auf eine gewisse Weise glücklich, weil ich mich wirklich in Südafrika eingelebt habe.

 

Nachdem wir jetzt eine Woche wieder in der Schule waren, wird die Schule jetzt bereits ein paar Tage vor den Ferien geschlossen. Corona ist jetzt auch hier angekommen und langsam werden ähnliche Maßnahmen wie in anderen Ländern getroffen. Die Schulen bleiben wahrscheinlich bis nach Ostern geschlossen, genau wie die Unis. Das Masinyusane Office schließt vorläufig für fast drei Wochen oder länger, dass ist noch unklar.

Mich verunsichert die ganze Situation gerade. Mir geht es nicht darum, nicht das Virus zu bekommen (klar wäre nicht gut, aber ich

gehöre nicht zu den gefährdeten Personen), sondern um die Auswirkungen und Folgen, die dadurch entstehen.

Ich habe Angst, was passiert, wenn der Corona Virus ins Township kommt, da ich mir die Folgen gar nicht ausmalen möchte.

Viele Menschen sind durch HIV, bzw. Aids vorbelastet und haben bereits ein geschwächtes Immunsystem. Für sie könnte der Virus ein großes gesundheitliches Risiko darstellen.

Ich habe schon von vielen internationalen Studenten gehört, dass sie früher abreisen und selbst weltwärts Freiwillige einer anderen Organisation wurden zurück nach Deutschland geholt. Ich habe das Gefühl herumzutreiben, Angst davor, auch zurück nach Deutschland zu müssen, weil ich gerne noch länger in Südafrika bleiben würde. Ich bin noch nicht fertig mit Südafrika, ich habe mit dem Land, den Menschen noch nicht abgeschlossen, ich habe mich auf ein ganzen Jahr eingestellt und mir tut die Vorstellung weh, schon frühzeitig alles abzubrechen, was ich mir hier aufgebaut habe. Das Land zu verlassen, dass zu meinem zweiten Zuhause geworden ist.

 

Anderseits ist es nicht meine Entscheidung. Diese Entscheidung liegt nicht in meiner Hand und wird nur zu unserer Sicherheit getroffen. Wenn es so kommt, dass ich abreisen müsste, dann wäre das so, etwas was ich akzeptieren müsste.

Ich hoffe das es in den nächsten Tagen etwas mehr Klarheit gibt, sodass man sich nicht unnötig viele Gedanken machen muss.

Sich mental darauf einstellen zu können und nicht unvorbereitet ist. Ich werde euch auf dem Laufenden halten, also bis dahin, stay safe.

 

Amelie